An: xxx@bmwa.bund.de Betreff: Breitband-Internetzugang und Flatrate - Ihr Schreiben vom 15. Juli 2003 - AZ: VII A 1 - 999 890 Von: Werner Weiler Datum: Mon, 21 Jul 2003 19:14:43 +0200 Sehr geehrte Frau Grüner,   vielen Dank für die Beantwortung meines Schreibens vom 11.05.2003 bezüglich der unzureichenden Versorgung mit Breitbandanschlüssen in der Bundesrepublik.   Da ich der Meinung bin, dass dabei einige Aspekte nicht bzw. zu wenig berücksichtigt wurden, möchte ich versuchen diese noch etwas näher zu erläutern.   Ich habe diese E-Mail an Ihre auf dem Brief angegebene E-Mailadresse gesandt. Wenn dies nicht der richtige Weg sein sollte, so wäre es nett wenn Sie mir dies mitteilen oder die E-Mail entsprechend weiterleiten würden.   1. Es geht hierbei um die Bedürfnisse von Menschen, von vielen Menschen. Ich würde mir nicht erlauben Sie bzw. das BMWA zu belästigen wenn es nur mein Problem oder das Problem einiger weniger wäre. Dazu ein paar Zahlen: Anfang des Jahres hat die Telekom gerichtlich die Werbeaussage "T-DSL ist fast überall verfügbar" untersagt bekommen. Dabei wurde geschätzt, dass nur ca. 2/3 aller Haushalte mit DSL versorgt werden können. Dies deckt sich nicht mit der von der Telekom behaupteten 90%-Abdeckung. Ich nehme daher einen Mittelwert von 75% und denke, dass dieser nicht allzu sehr von der Realität abweicht. 75% bedeutet gleichzeitig, dass über 20 Millionen Menschen keine Chance auf einen zeitgemäßen, preiswerten Internetzugang haben. Sicher hat davon die Mehrzahl auch (noch) kein Interesse an einem Breitbandzugang, zählen wir daher weiter: Über 52% der Bevölkerung hat einen Onlinezugang, davon gehen etwa 25% über einen Breitbandanschluss ins Internet, dies wären sicher mehr wenn alle die Chance dazu hätten. D.h. von den oben angenommenen 20 Millionen ohne DSL-Verfügbarkeit ist gut die Hälfte Internetnutzer und von diesen über 10 Millionen würden auch gerne 25% über einen schnellen Anschluss ins Internet gehen. Wir sprechen also hier über wahrscheinlich mehr als 2,5 Millionen Menschen, die ein mehr oder weniger grosses Interesse an DSL haben und dabei fast täglich mit DSL-Werbung überflutet werden. Menschen, denen "Robert T- Online" aus TV und Radio heraus verkündet dass T-DSL DER Weg ist über den man heute ins Internet geht, denen aus diversen Zeitungen DSL-Werbung entgegenquillt, die beim Verlassen eines Supermarkts angesprochen werden mit "Hätten Sie nicht Interesse an T-DSL?". 2,5 Millionen Menschen die durch den rein kommerziell orientierten Ausbau des DSL-Netzes deutlich benachteiligt worden sind gegenüber denen, die über einen DSL-Anschluss verfügen.   2. Sie weisen zu Recht darauf hin, dass ich mich in meinem Schreiben sehr stark auf die DSL-Technologie konzentriere. Doch nicht ich sondern die Praxis hat diese Technologie in den Vordergrund gerückt. Auch der Chef der RegTP, Herr Kurth, geht davon aus, das DSL mittelfristig die dominierende Zugangstechnik für Breitbandanschlüsse bleiben wird. Fragen wir uns doch, warum DSL so sehr gegenüber anderen Technologien in der Vordergrund gerückt ist: DSL wird dort angeboten, wo es ohne größere Investitionen einsetzbar ist. Dabei wird auf die Infrastruktur zurückgegriffen, die wir ALLE in der Vergangenheit mit den sehr hohen Telefongebühren haben aufbauen helfen. Dadurch kann DSL vergleichsweise günstig angeboten werden. Als Folge davon haben Alternativtechnologien kaum eine Chance, bestes Beispiel ist Powerline. Dies war für uns DSL-Lose einige Zeit ein Hoffnungsschimmer aber nachdem sich (T-)DSL soweit durchgesetzt hat, wurden die Versuche damit von den Stromkonzernen nach und nach eingestellt. Werfen wir einen Blick auf das von der Telekom als Alternative bezeichnete Satellitenangebot: Dies ist für manche Anwendungen schon aufgrund der hohen Signallaufzeit nicht geeignet. Man kann halt keine X-Box von Microsoft oder ein DSL-Radio von Philips daran anschliessen. Das K.O.-Kriterium ist aber die fehlende Flatrate bei gleichzeitiger Notwendigkeit einer Verbindung über das Telefonnetz für den Rückkanal. Hinzu kommen erheblich höhere Anschaffungs- und Betriebskosten. Es gibt zwar z.B. von Tiscali Zwei-Weg-Satellitenlösungen die also keinen Rückkanal über das Telefonnetz benötigen, diese sind aber noch erheblich teurer und haben die gleichen technischen Beschränkungen wie die Telekom- Lösung. Dass in diesen Angeboten in der Regel der Begriff DSL verwendet wird, grenzt darüber hinaus an Irreführung der Verbraucher da diese Satellitenverbindungen technisch nichts mit DSL zu tun haben. Weiterhin müssen sich bei der Satellitenlösung viele Benutzer einen Kanal teilen, d.h. wenn viele gleichzeitig diesen Weg benutzen, geht die Übertragungsrate stark in die Knie und sinkt teilweise unter ISDN- Geschwindigkeit.   3. Sie verweisen auf die Dynamik der technologischen und damit auch wirtschaftlichen Entwicklungen. Diese erfordern aber auch eine Dynamik in den Gesetzen und Vorschriften. Wenn ich sehe dass die Telekom nur verpflichtet ist, einen analogen Modemzugang anzubieten, dann ist dies anachronistisch. Hier wäre eine Anpassung dringend erforderlich. Bei über 3.2 Mio. Anschlüssen ist DSL de facto eine Universaldienstleistung. Die Bedeutung von DSL hat die RegTP ja oft genug bestätigt. Zumindest sollte ein Breitbandzugang, auf welchem Wege auch immer, dieses Status erhalten. Damit wäre dann auch die RegTP wieder in der Pflicht, sich für dessen flächendeckende, bezahlbare Verbreitung einzusetzen.   4. Meine Lösungsvorschläge sollten Denkanstösse sein. Ich maße mir nicht an die perfekte Lösung für das Problem zu kennen, ich möchte in erster Linie darauf hinweisen, dass in diesem Bereich dringender Handlungsbedarf besteht. Mir ist bewußt, dass weder die Telekom noch die anderen Anbieter rechtlich verpflichtet sind, etwas zur Beseitigung des digitalen Grabens beizutragen. Es können aber große Ungerechtigkeiten entstehen ohne dass dabei ein bestehendes Gesetz verletzt wird. In solchen Situationen ist meines Erachtens die Politik/die Regierung gefordert um durch ihre Gesetzgebung dem entgegen zu wirken.   5. Wir leben in einer sozialen Marktwirtschaft. Kann es denn da sein, dass Unternehmen ohne jede Rücksicht auf die sozialen Folgen ihrer Entscheidungen handeln dürfen? Besonders die Telekom, die aus einem Staatsunternehmen hervorgegangen ist, die immer noch zum Großteil in Staatsbesitz ist, die immer noch eine Quasi-Monopolstellung inne hat, sollte nicht einfach den einen etwas wegnehmen (in dem Falle die ISDN- Flatrate) und den anderen viel geben dürfen (DSL/Flatrate) ohne Rücksicht auf die damit entstehenden Ungerechtigkeiten. Die Folgen gehen weit über das schnelle Surfen hinaus. Ein Beispiel: ich arbeite in einem EDV- Unternehmen wo ein Teil der Mitarbeiter zumindest teilweise über ihre DSL- Flatrate von zu Hause aus auf dem Firmenserver arbeitet. Ich darf dagegen täglich (bei demnächst gekürzter Kilometerpauschale) 60 km fahren. Auch bei uns gibt es, bedingt durch die angespannte wirtschaftliche Situation, Entlassungen. Wenn der Arbeitgeber mal wieder vor der Entscheidung steht, entläßt er dann den Arbeitnehmer der im Notfall schnell von zu Hause aus ein Problem beheben kann oder den, der erst frühestens nach einer halben Stunde im Betrieb zur Verfügung steht?   6. Die Erklärungen, die z.B. von unserem Bundeskanzler oder unserem Wirtschaftsminister zu dem Thema abgegeben wurden, passen keineswegs zu der Passivität, mit der das Problem von der Regierung behandelt wird. Beispiele dazu:   Bundeskanzler Gerhard Schröder: - "Das Ziel heißt 'Internet für alle'" - "...ist die Überzeugung, dass der Übergang zur Informationsgesellschaft nur gelingen kann, wenn der Zugang zu neuen Technologien allen Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land, die dies wollen, offen steht. Dies ist ein Gebot gesellschaftlicher Gerechtigkeit und ökonomischer Vernunft."   Bundesminister Wolfgang Clement (Breitbandgipfel 2.6.2003): - "In der Entwicklung und Verbreitung von breitbandigem High-Speed-Internet stecken neue Chancen für Wachstum und Beschäftigung" - "... Hemmnisse abzubauen und Lösungen für den zügigen Ausbau schneller Internetverbindungen über die verschiedenen Breitband-Infrastrukturen zu entwickeln"   Jörg Tauss und Klaus Barthel (Februar 2001): "Das Ziel, die digitale Spaltung auf dem Weg in die Wissens-und Informationsgesellschaft zu verhindern, ist und bleibt ein wichtiges Ziel der SPD-geführten Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen. ... Um eine digitale Spaltung zu vermeiden, ist mittelfristig ein flächendeckend erschwinglicher und auch breitbandiger Zugang zum Internet zwingend notwendig. "     Weiterhin wird die Forderung der EU, die einen Ausbau der Breitbandversorgung auch mit staatlicher Unterstützung vorsieht, nicht berücksichtigt. Verschiedene Politiker warnen seit Jahren vor der digitalen Spaltung der Gesellschaft - und während diese vollzogen wird, schauen die meisten untätig zu.     7. Eine Chance für eine mittelfristige Verbesserung der Situation ist für mich nicht zu erkennen. Es kann auch jetzt schon jeder (der eine Satellitenschüssel installieren darf) über Satellit einen breitbandigen Zugang haben, aber zu welchem Preis? Von einer wirklichen Alternative kann keine Rede sein da diese zumindest eine Flatrate enthalten müsste und dabei preislich den durch DSL vorgegebenen Rahmen nicht um ein Vielfaches überschreiten dürfte. Bei neuen Technologien wie UMTS und WLAN ist schon jetzt zu erkennen, dass dabei das Gleiche passieren wird wie bei DSL: sie werden dort angeboten wo unmittelbar Gewinn zu erwarten ist, d.h. die Gebiete mit einer geringeren Bevölkerungsdichte werden wieder das Nachsehen haben.   Die Selbstregulierungskräfte des Marktes, auf die die Regierung setzt, werden das Problem nicht lösen - sie haben es ja letztlich erst geschaffen.         Ich danke Ihnen dass Sie bis hierhin weitergelesen haben und bitte um Entschuldigung, dass das Schreiben so lang geworden ist. Aber ich halte den Umfang bezogen auf die Problematik für angemessen.   Weitere Informationen und Meinungen dazu können Sie auf meiner Webseite finden, die über http://dsl4all.2fbi.de oder http://dsl4all.tk/ zu erreichen ist.     Mit freundlichen Grüßen   Werner Weiler   Kapellenstraße 5 56761 Kaifenheim   werner@weilerworldwi.de